Brief von Ryszard Samulczyk vom 05.01.1995
Ryszard Samulczyk war derjenige, der am längsten in Deutschland geblieben ist. Er schrieb im Januar 1995: „Beim Baubeginn einer Schutzeinrichtung für U-Boote im Kriegshafen in Kiel wurde ich samt der Lok an diesen Arbeitsplatz verlegt. Zuerst kam ich per Bahn aus Bordesholm dahin, später wurde ich in Kieler Baracken einquartiert. Dies war der Wohnort vieler Nationalitäten: Polen, Tschechen, Ukrainer und anderer Nationalitäten. Zusammen mit mir wohnten Stanislaw Piasecki, Hermann Matuszewski und einige andere, deren Namen ich nicht mehr kenne. Es war eine Zeit schwerer Erlebnisse. Ständige Bombenangriffe, am Tag und in der Nacht. Während eines solchen Angriffs kam ein Schmied aus Łeczyca ums Leben, als im Bunker ein Deckenteil einbrach. Sein Helfer starb ebenfalls. Er wurde im Arbeitslager in der Nähe von Kiel ermordet. Eines Tages ging ich mit Hermann Matuszewski um 3.00 Uhr zur Arbeit. Es war an einem Montag. Die Lokomotiven mussten vorbereitet werden, Feuer musste unter dem Kessel gemacht werden und andere Tätigkeiten mussten erledigt werden, damit um 6.00 Uhr die Lokomotiven für den Transport der Betonmaschinenmaterialien bereit waren. Anfangs war Stanislaw Piasecki auch dabei, aber seine Lokomotive wurde aufgrund einer Beschädigung aus dem Verkehr gezogen, und die ganze Last des Materialtransportes fiel auf unsere Schultern, d.h. auf meine und auf Matuszewskis. Die Bauleitung war mit uns zufrieden und wir erhielten sogar nacheinander Urlaub. ... Hier muss ich erwähnen, dass wir der Organisation 'Todt' unterstanden, mit der man in Einklang sein musste (Beispiel des Todes des Helfers vom Schmied). ... Trotz ständiger Flugzeugangriffe wurde die Arbeit nicht unterbrochen. Bei einem Bombenangriff verbrannten alle Bunkerteile, die aus Holz waren. Danach wurde kein Holz, sondern nur noch Metall verwendet. Die Angriffe fanden sowohl am Tag als auch in der Nacht statt. Ich erinnere mich, dass nach einem Angriff ein Panzerschiff 'Admiral Scheer' gesunken ist, das deutsche Flüchtlinge aus dem Osten transportierte und kurz nach seiner Ankunft bombardiert wurde. Kurz danach gab die Provinz Schleswig-Holstein Anfang Mai 1945 seine Kapitulation bekannt. Danach wurden wir mit Autos von britischen Truppen nach Wattenbek gebracht und wurden dort im ehemaligen französischen Lager einquartiert. Dort verbrachten wir nur ein paar Tage. Eines Tages kam ein Offizier, ein Pole in Diensten der Briten, mit einigen Wagen zu uns mit dem Ziel, die Polen nach Kiel zu bringen, was auch gemacht wurde. Dort wurden wir in ehemaligen Kasernen deutscher Truppen einquartiert. In diesem Lager blieb ich bis zum Ende meines Aufenthaltes in Deutschland. Das Essen machten deutsche Köche. Nach einem dieser Mittagessen organisierten wir einen Hungerstreik, da das Essen ungenießbar war. Einfache Schwärze [Blutsuppe], die schon von weitem stank. Nach unserem Protest trafen im Kasernengebiet englische Führungskräfte ein, bewaffnet mit vier Maschinengewehren. Die Lagermitglieder wurden auf den Kasernenhof geführt. Alle Polen wurden in einem Viereck aufgestellt und in jeder Ecke befand sich ein Maschinengewehr. Daran konnten wir erkennen, dass man uns für die Anzettler des Streiks hielt. Ich persönlich organisierte eine Kommission, bestehend aus einigen Personen, um die Ursachen des Protestes aufzuzeigen bzw. herauszufinden. Die Sache wurde geklärt und auf unsere Initiative hin bildete sich ein Lagervorstand, der mich zum Stellvertreter des Lagerführers wählte. Der Lagerführer war der Offizier Hauptmann Dziurzynski. Ich, als sein Vertreter, war für die Lagerkanzlei verantwortlich. Hauptmann Dziurzynski war die Verbindungsperson zu den englischen Führungskräften, da ich leider nicht die englische Sprache beherrschte. Ich bekam eine Uniform, die zwar aus dem 1. Weltkrieg stammte, aber das hatte keine große Bedeutung. Für die Arbeit bekam ich 500,- Mark für einen Monat und ein Paket der U.N.R.A... Außer diesem Paket bekam ich noch ein zweites als Bewohner des Lagers. Alle Lagerbewohner haben jeden Monat ein Paket bekommen. Außer den Paketen verteilte ich noch Schuhe und Kleidung für die, die es am nötigsten hatten. Außerdem hatte ich die Befugnis, die Erlaubnis für Ausreisen in westliche Länder und in die Tschechoslowakei zu erteilen. Ich erteilte über 550 Ausreisegenehmigungen. Am häufigsten fuhren die Leute in die Tschechoslowakei, von wo die Polen in ihr Heimatland zurückkehrten. Während meiner Amtszeit starben zwei Personen. Einer von ihnen wurde während einer Fahrt von einem entgegenkommenden Wagen erfasst, als er sich aus dem Wagen lehnte. Er starb an der Unfallstelle. Der andere starb bei einer Explosion. Meine Amtszeit dauerte solange, bis die Vorbereitungen für die Rückkehr nach Polen über den Seeweg anfingen. Mein Chef, Hauptmann Dziurzynski, versuchte mich zu überzeugen, mit ihm in ein anderes Lager zu gehen. Aber die Sehnsucht nach der Familie und nach dem Heimatland siegte und ich entschied mich, zusammen mit den anderen auf dem Seeweg zurück nach Polen zu fahren. Ende November 1945 wurden wir in Militärfahrzeugen nach Lübeck gefahren und nach ein paar Tagen auf ein Schiff gebracht. An dem Konvoi nahmen drei Schiffe teil. Das erste war für Familien mit Kindern, das zweite für Frauen, das dritte für Männer bestimmt, auf dem auch ich mitfuhr. Während der Fahrt hatten wir Funkverbindung mit den anderen Schiffen. Auf dem Familien- und auf dem Frauenschiff gab es viele Fälle von Seekrankheit. Bei uns erkrankten nur wenige. Während der Fahrt erwischte uns ein schwerer Sturm und wir gingen zur Sicherheit vor Anker. Anfang Dezember kamen wir in Westerplatte an, wo wir die ersten russischen Soldaten erblickten. Sie versuchten auf unser Schiff zu kommen, was die Engländer jedoch sofort verhinderten, da sie die Verantwortung für uns übernommen hatten. Nach der Ankunft kümmerte sich eine Kommission um uns, stattete uns mit Papieren aus und gab uns 100 Złoty für den Heimweg. Auf dem Danziger Bahnhof wartete jeder von uns auf den Zug, der ihn in seinen Heimatort bringen sollte. Ich kehrte nach Łódź-Kaliska zurück und von da aus ging es zu mir nach Hause. Bei meiner Familie kam ich am 6. Dezember 1945 an. Das ist das Ende meines Aufenthaltes und meiner Erlebnisse im Arbeitslager.”[1]
[1] Brief vom 05.01.1995.