China für Wattenbek

e-mail vom 20. Dezember 2007

Betr.: Eine kleine Vorweihnachtsgeschichte aus Beijing

Hallo nach Wattenbek,

am Nikolausabend musste ich wieder einmal aus meinem Apartment in Beijing heraus um etwas frische Luft zu schnappen - wie immer man auch die Luft in dieser Großstadt bezeichnen mag. Also ging ich zum nächsten Einkaufszentrum, wo sich über die 6 spurige Strasse eine Brücke schwingt. In der Mitte dieses Betonbogens angekommen blickte ich auf den regen Straßenverkehr und dachte so vor mich hin.

Mitten in meiner Entspannungsphase berührte mich eine fremde Hand an der Schulter und eine Stimme sagte in verständlichem Englisch: „Please, can you help me? I am very hungry.“ Im Umdrehen blickte ich in das Gesicht eines chinesischen Mädchens, dass mich fragend anblickte. Ich habe bisher und werde auch weiterhin kein Kleingeld an Bettler in China geben. Deshalb erwiderte ich kurz: „Yes, but I give no money, however I can buy some food for you“. Wider erwarten nickte das Mädchen und sagte:“ Yes, please“. Nach dem Motto „ein Mann ein Wort“ verließen wir beide die Brücke und gingen in der Winterkälte etwa 3 Minuten zum nächsten KFC Fastfood Restaurant.

Ich bestellte der Kleinen einen doppelten Chickenburger mit Pommes Frites sowie eine Cola im Wert von 25 RMB, entsprechend etwa EUR 2,50. Noch während wir uns setzten, fragte ich die Chinesin, warum sie so hungrig sei, woher sie kommt und was sie in Beijing macht. Das mit dem Hunger habe ich ihr sofort abgenommen. Noch nie habe ich einen jungen Menschen so gierig einen Burger essen sehen. Ich ließ ihr Zeit und nachdem der erste Hunger gestillt war, begann sie auf English und Chinesisch sowie mit Handzeichen zu erzählen. Liu Xiao Lei, so ihr Name, war vor 4 Tagen aus der etwa 3000km entfernten, westlich von Hong Kong liegenden Province Guangxi mit dem Zug angereist, um in Beijing Arbeit zu finden. Jetzt gingen ihr langsam die Ersparnisse aus und Arbeit war immer noch nicht in Sicht. Sie sagte, dass das Leben in Beijing 4 mal teurer als in ihrer Heimat sei. Geschlafen hatte „kleine Knospe“, so ihr übersetzter deutscher Name, bisher in Hinterhöfen auf muffigen alten Matratzen.

Mit 18 Jahren hat sie ihre Familie und ihren Heimatort verlassen, um ein besseres und auch anderes Leben in einer Großstadt führen zu können. Auf sich allein gestellt hat sie, wie viele Andere auch, sich für dieses moderne Überleben entschieden. Ich wünschte ihr viel Glück dazu, denn es gibt zu viele Zuwanderer aus den armen Provinzen. Etwa 3 bis 5% davon schaffen es, in dieser Millionenstadt Fuß zu fassen und ihr Glück zu machen, der Rest geht nach einiger Zeit wieder zurück in die heimatliche Provinz. Nachdem Xiao Lei gesättigt war, sagten wir einander „zai jian“ (auf Wiedersehen).......... Ich habe „little Liu“ danach nie wieder gesehen.

Uwe Krüger