Zwangsarbeit in einem Kieswerk 1939 – 1945

(am Beispiel der Baufirma Habermann & Guckes)

5. Die Unterbringung in Wattenbek

Janusz Smoczynski berichtete: „Die Baracke, in der wir wohnten, muss kurz vor unserer Ankunft gebaut worden sein, da einige Baumängel beseitigt wurden, während wir zur Arbeit waren.“[5-1] Diese Aussage betrifft das im Lageplan eingezeichnete Gebäude Nr. 1. Alle übrigen Gebäude auf dem Gelände der Kiesverladestation sind offensichtlich schon längere Zeit vorher errichtet worden. Das traf insbesondere auf das Büro des „Betriebsführers“, Ingenieur Hermann Grimm, zu.[5-2] Grimm wohnte eigentlich in Kiel, wurde dort im Verlauf des Krieges aber ausgebombt und hat dann das Gebäude Nr. 2 mit seiner Familie auch als Wohnunterkunft genutzt. Nr. 3 bezeichnet drei Schuppen, die direkt an den Gleisen der Reichsbahn standen, sie dienten u. a. als Lagerraum. Der kleine Lokschuppen (Nr. 4) und der große Lokschuppen (Nr. 5) standen in direkter Verbindung zueinander. Hier wurden allabendlich 6–7 Lokomotiven der Schmalspurbahn abgestellt. Das Gebäude Nr. 5 diente ab 1943/44 auch als Schlosserwerkstatt. Das L-förmige Gebäude Nr. 6 kennzeichnet einerseits einen (halboffenen) Unterstellplatz für Maschinen und zum anderen die Waschküche. Hier war aber auch ein Teil der Sanitäranlagen untergebracht. Die Geleise Nr. 7 markieren den Bereich, in dem die verschiedenen Kiessorten von den Loren der Schmalspurbahn aus einer gewissen Höhe auf die darunterstehenden Reichsbahnwaggons abgekippt worden sind. Das gesamte Lagerglände war ungefähr 170 m lang und 88 m breit. Es hatte demnach eine Fläche von cirka 1,5 Hektar.

Lageplan Verladestation mit Gleisen

In dem Brief von Smoczynski heißt es weiter: „In der Baracke konnten wir uns nach der langen Reise im großen Waschraum waschen. Wir durften uns ein Bett und [einen] Schrank in einem der drei Räume aussuchen. Wir haben auch die ersehnte warme Mahlzeit erhalten. Man hat uns Bettwäsche und Handtücher gegeben.“[5-3] Diese wertneutrale Schilderung, die eher an den Aufenthalt in einer Jugendherberge erinnert, ist mit der Persönlichkeit von Janusz Smoczynski zu erklären. Wir haben ihn als einen überaus freundlichen und harmoniebedürftigen Menschen kennengelernt, der diese Phase seiner Jugenderlebnisse bis zum Jahre 1994 weitgehend verdrängt hatte und dann aus einer relativ großen inneren Distanz wieder daran erinnert wurde. Es war offensichtlich seine Absicht, inzwischen verschüttete Gräben nicht wieder neu aufzureißen. Zu dem Besuch in Wattenbek und Bordesholm im Oktober 1995 musste er von seiner Frau überredet werden. Er selbst meinte, dass er für so eine Reise schon zu alt sei.

Ganz anders war das Verhalten von Ryszard Samulczyk und Stanislaw Jesionek. Bei ihnen hatten wir das Gefühl, dass sie bereits seit Jahrzehnten darauf warteten, ihre Erlebnisse aus den Jahren 1940–1945 erzählen zu können. Beide bekundeten bereits in ihrem ersten Brief großes Interesse daran, noch einmal an ihre alte „Wirkungsstätte“ zurückzukehren. Dementsprechend fällt auch die Schilderung von Jesionek über die Unterbringung in Wattenbek ganz anders aus als der Bericht von Smoczynski. In seinem ersten Brief, der die spontane Erinnerung an das damalige Geschehen wiedergibt, schreibt Jesionek: „[Die] Sanitäranlagen waren schlecht. Es gab keine Dusche, nur Schüsseln. Der Winter war am schlimmsten. Die Wände der Baracke waren aus Pappe, in der Mitte Holzwolle, und die schrecklichen Wanzen, das verdammte Ungeziefer. Trotz immer doppelter Desinfektion. Man war jung, man hat alles ausgehalten.“[5-4] Der zweite Brief von Jesionek enthält die Antworten auf einen vom Verfasser übersandten Fragenkatalog. Hier heißt es: „Wir haben in der Baracke zu 40 gewohnt. Die Betten waren aus Holz und Etagenbetten. Die Sanitäranlagen waren tragisch. Ein Holzhäuschen – ohne Heizung selbstverständlich – hat uns zum Waschen gedient. Dort waren auch einige Waschbecken mit kaltem Wasser. Für diese Menschenmasse war das nie ausreichend. Es gab Eisennickelschüsseln und einen Topf mit warmem Wasser. [Eine] Badewanne habe ich fünf Jahre nicht gesehen. Wir haben nur die Möglichkeit gehabt, bis Hälfte und ab Hälfte sich zu waschen. Im Winter war das eine Tragödie. Neben dem Holzschuppen war [das] Klo.“[5-5]

Die Anordnung der Räumlichkeiten innerhalb der Wohnbaracke konnte nicht mehr eindeutig geklärt werden. Das ganze Gebäude war ungefähr 20 m lang und 8–9 m breit. Es standen demnach rund 170 m2 Grundfläche zur Verfügung. Diese verteilten sich auf drei Wohnräume, eine Küche und einen entsprechenden Speisesaal. Diese kombinierte Wohn- und Wirtschaftsbaracke stand unter der Leitung eines „korpulenten Ehepaares“, an dessen Namen sich Smoczynski aber nicht mehr erinnern konnte. Jesionek schrieb dagegen in seinem ersten Brief: „Den Speisesaal führte Familie Kienitz.“ Es handelte sich um Anna und Ernst Kienitz, die beide für die Firma Habermann & Guckes tätig waren. Sie leitete den Kantinenbetrieb, und er war zum einen Hausmeister und zum anderen Lokführer im Bereich der Verladestation. In Ryszard Samulczyks Erinnerung spielten die Lebensmittelkarten in diesem Zusammenhang eine große Rolle: „Natürlich gab es für die Lebensmittel spezielle Lebensmittelkärtchen, von denen die Fleischanteilfelder für die Küche, die das Mittagessen vorbereitete, abgeschnitten wurden.“ Hier wiederum scheint man nicht sehr aufrichtig mit den eingesammelten Marken umgegangen zu sein, denn Samulczyk schreibt weiter: „Aufgrund der Unterernährung fiel mein Gewicht von 80 kg auf 52 kg.“[5-6]

Es bleibt festzuhalten, dass die Betreiber des Kieswerkes mit der kurzfristigen Errichtung der Wohnbaracke in Wattenbek eine wichtige Voraussetzung für die Zuweisung und den Einsatz von Arbeitskräften aus Polen erfüllt haben. Der Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern, Heinrich Himmler, hatte bereits am 8. März 1940 dem Reichsarbeitsminister mitgeteilt: „Wesentlich für eine Trennung der Zivilarbeiter und -arbeiterinnen polnischen Volkstums von der deutschen Bevölkerung ist ihre Unterbringung in geschlossenen Unterkünften. [...] Besonderer Wert dürfte auch auf die Einrichtung von getrennten Aufenthaltsräumen während der Arbeitspausen zu legen sein. Eine entsprechende Auflage könnte den Betrieben bei der Bedarfsanmeldung von Arbeitskräften gemacht werden.“[5-7] Dass es auf dem Kieswerksgelände in Brüggerholz auch noch getrennte Aufenthaltsräume zum Abhalten von Pausen gegeben hat, ist nicht anzunehmen.

Ein weiterer Punkt aus dem Forderungskatalog von Heinrich Himmler ist von der Firma Habermann & Guckes ebenfalls nicht beachtet worden: Es gab keine Bordellbaracke, obwohl Brüggerholz ein Ort war, in dem „vorwiegend oder ausschließlich nur männliche Arbeiter“ aus Polen eingesetzt wurden. In solchen Fällen kam es Himmler darauf an, „durch Einrichtung von Bordellen mit polnischen Mädchen den Gefahren vorzubeugen“. Alle Arbeitgeber sollten diesen Sachverhalt in Zukunft berücksichtigen und „bei der Errichtung von Unterkünften für männliche Arbeitskräfte gleichzeitig auch für die Errichtung einer Bordellbaracke“ sorgen.[5-8] In der Praxis ist diese Vorgabe aber nur sehr selten umgesetzt worden und dann auch nur an Standorten mit wesentlich mehr als 34 Polen.[5-9]

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[5-1] Brief vom 30.7.1994.

[5-2] Als Betriebsführer war Grimm zugleich Vorsitzender des seit 1934 bestehenden Vertrauensrates und besaß gegenüber den „Gefolgschaftsmitgliedern“ in allen betrieblichen Angelegenheiten das alleinige Entscheidungsrecht.

[5-3] Brief vom 30.7.1994.

[5-4] Brief vom 9.3.1994.

[5-5] Brief vom 13.6.1994.

[5-6] Beide Zitate aus dem Brief vom 5.1.1995.

[5-7] Documenta Occupationis X (wie Anm. 3-2), S. 24.

[5-8] Ebd.

[5-9] Welche Probleme dieses Thema in Kiel ausgelöst hat, ist von Jörg Tillmann-Mumm beschrieben worden: Der „Fremdarbeitereinsatz“ in der Kieler Rüstungsindustrie 1939–1945, masch. Magisterarbeit, CAU Kiel 1999, S. 75ff.