Der Wattenbeker Hirtenwurfstock[1]

Im Frühjahr des Jahres 1952 wurde der Holzstab beim Torfgraben am Nordende des Dosenmoores im Bereich der Gemeinde Wattenbek gefunden: "Der Stab lag 100-110 cm unter der heutigen Mooroberfläche waagerecht in bräunlichem, gallertähnlichem Torf." Die Oberfläche des Fundstückes, das heute im Schleswig-Holsteinischen Landesmuseum auf Schloss Gottorf in Schleswig liegt, war "reich mit eingeschnitzten Menschen- und Tierfiguren verziert".

Beschreibung

Der "aus einem starken Haselnussstock geschnittene" Stab ist 65 cm lang, hat am dickeren Ende einen Durchmesser von 2 cm und am dünneren Ende einen Durchmesser von 1,5 cm: "Die geglättete Oberfläche des Stabes deckt ein Fries aus sehr geschickt eingeritzten laufenden Tieren und stehenden Menschen."

Die Menschen

"Am dünneren Ende des Stabes sind zwei Menschen nebeneinanderstehend gezeichnet. Die vollständig erhaltene Ritzung stellt einen Menschen dar, der in den erhobenen Armen anscheinend eine Schale trägt. Die Komposition der Wiedergabe ist nach Art von Kinderzeichnungen uneinheitlich. Auf zwei langen, in Seitenansicht wiedergegebenen Beinen sitzt ein viereckiger, anscheinend in Vorder- oder Rückansicht gezeichneter Oberkörper und ein langer Hals-Kopf-Teil. Die Arme sind lediglich durch zwei vom Rumpf aufwärts geführte, leicht gekrümmte Linien angedeutet. Die zweite Menschenfigur zeigt etwa proportionsgerecht den Unterteil eines schreitenden Menschen. Anstelle des Oberkörpers sind nur einige unregelmäßig angesetzte Ritzlinien vorhanden. Ähnliche Ritzungen überschneiden die Beine beider Figuren. Zwei lange Beine eines dritten Menschen befinden sich unterhalb eines umlaufenden, von seitlichen Ritzlinien begrenzten Gittermusters in Stabmitte."

Die Tiere

"Die Hauptmenge der Figuren des Frieses sind eilig dahinstürmende Tiere. Die zeichnerische Wiedergabe fast aller Tiere ist einheitlich. Sie sind klar in der Seitenansicht dargestellt. Die Kopfhaltung, die ohne Berücksichtigung der tatsächlichen Proportionen in die Länge gezogenen Körper, die Beinhaltung und die Schwanzhaltung deuten sehr gekonnt die eilige Bewegung der Tiere an. ... Die Tiere lassen sich zu drei, oder, wenn man das Gittermuster in der Stabmitte als trennendes Glied im Gesamtbild auffassen will, zu vier Tiergruppen ordnen. Am dicken Ende des Stabes laufen vier Tiere, von denen eins nicht vollständig mehr zu erkennen ist, hinter einem etwas kleineren Tier. Die beiden hinteren Tiere sind am größten und ihre Schnauzen geöffnet gezeichnet. Eine ähnliche Anordnung lässt die Tiergruppe beiderseits des Gittermusters erkennen. Die Größe dieser Tiere variiert. Das Leittier ist wiederum verhältnismäßig klein. Ein auffallend kleines Tier befindet sich ebenfalls zwischen zwei großen am Ende der Gruppe. ... Im Bereich der beiden nebeneinanderstehenden Menschen befinden sich drei Tiere, von denen eins auf die zweite Tiergruppe zueilt, während die beiden anderen, in entgegengesetzter Richtung laufend, zwischen den beiden Menschen eingeritzt sind. Die Schnauze des vorderen dieser Tiere ist mit drei nach vorn gerichteten Strichen versehen. Vielleicht sollen die Barthaare eines Hundes angedeutet werden."

Der Verwendungszweck

"In Form und Größe ähnelt das beschriebene Fundstück einem Runenstab von Hemdrup und einigen ähnlichen Stäben aus dem Museum Herning (Dänemark), die als Hirtenwurfstäbe angesprochen werden. Die Stäbe von Hemdrup und Wattenbek weisen sogar einige Übereinstimmungen in der Verzierung auf. An beiden Stäben sind Menschen- und Tierfiguren vorhanden, deren Anzahl und Darstellungstechnik allerdings stark unterschiedlich sind. ... Der verzierte Stab von Wattenbek wäre somit sehr wahrscheinlich ein Hirtenwurfstock, auf dessen Oberfläche ein geschickter Schnitzer eine Tierherde dargestellt hat. Ob die gleichfalls eingeritzten Menschen Hirten sein sollen, in deren Nähe sich zwei Tiere mit nach vorn herabhängenden Ohren, vielleicht Hunde, aufhalten, lässt sich nicht beweisen, wenn es auch durchaus wahrscheinlich sein dürfte."

Das Alter

"Eine klare zeitliche Einordnung des Hirtenwurfstockes aus Wattenbek ist leider nicht möglich. ... Die Fundumstände machen es allerdings wahrscheinlich, dass der Wattenbeker Wurfstab einem alten Typ angehört, der nach Aussage des Hemdruper Stabes erstmalig für die Zeit zwischen 900 und 1000 n. Chr. Geburt belegt ist. Die Fundumstände lassen sogar die Möglichkeit offen, dass der Wurfstock aus Wattenbek einer wesentlich weiter zurückliegenden Epoche zugeordnet werden kann. Eine Entscheidung in dieser Frage lässt sich ohne moderne technische Zeitbestimmungsmethoden nicht treffen." Vielleicht sollten die Gemeinde oder der Kulturverein so eine Untersuchung im Landesmuseum in Schleswig einmal anregen.



[1] Die Ausführungen zu diesem Thema beruhen auf einer Beschreibung des Wattenbeker Stabes durch Dr. Hingst vom Landesmuseum in Schleswig. Sie wurden der von Jakob Hinrichs im Jahre 1991 verfassten Chronik über Wattenbek entnommen (vgl. dort S.39ff.).