"DEN ZWANGSARBEITERN 

DER WERFT 

DEUTSCHE WERKE KIEL

1941 - 1945"

Übergaben den Gedenkstein an die Öffentlichkeit: Bürgermeister Uwe Bräse (rechts) und Arbeitskreis-Vorsitzender Volker Heidemann.

Am 13. Dezember 2003 wurde am Jacob-Hinrichs-Weg die Gedenkstätte zur Würdigung der vor 60 Jahren hier internierten Zwangsarbeiter eingeweiht.

Die gründlichen Recherchen des Historikers Uwe Fentsahm ermöglichten eine Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit diesem dunklen Fleck in der Geschichte Wattenbeks.

Der Besuch von 3 polnischen Zwangsarbeitern, die im benachbarten Lager von Habermann & Guckes zwangsweise arbeiten mussten und von denen einer zeitweise auch im DWK-Lager untergebracht wurde, war ein emotionaler Höhepunkt in der Auseinandersetzung der Gemeinde mit ihrer Vergangenheit.

Die Gemeindevertretung hatte die Errichtung der Gedenkstätte, nach Vorarbeit eines "Arbeitskreises Gedenkstein", im Sommer einstimmig beschlossen.

Lars Klehn hielt die unten wiedergegebene, beeindruckende Einweihungsrede. 

Rede von Lars Klehn, Pastor der Christus-Gemeinde und Mitglied des Gedenksteinarbeitskreises, zur Übergabe der Gedenkstätte für die Zwangsarbeiter der DWK in Wattenbek, am 13.12.2003

Herr Bürgermeister Bräse, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger!

„Was ist hier gewesen? Was ist hier passiert auf dem Grund und Boden, auf dem heute unsere Einfamilienhäuser stehen?“

Diese Frage stand am Anfang der Entwicklung, die zu dieser Gedenkstätte geführt hat, die wir heute der Öffentlichkeit übergeben. In der Beschäftigung mit der Geschichte dieses Stückchens unseres Ortes Wattenbek ist deutlich geworden: Was hier passiert ist, können wir nicht einfach übergehen.

Da sich die Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus immer weniger an den konkreten Erfahrungen von Zeitzeugen orientieren kann, stellt die Suche nach neuen Formen des Erinnerns die einzige Möglichkeit dar, das Geschehen langfristig dem Vergessen zu entreißen. Kommenden Generationen sollen Anstöße gegeben werden, in der aktiven Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit ein eigenständiges, differenziertes Geschichtsbild und eine bewusste Haltung zur Demokratie zu entwickeln.

In der Auseinandersetzung mit der Geschichte des sogenannten „Serbenlagers“ ist uns – vom Gedenksteinausschuss - deutlich geworden, dass schon heute, kaum 60 Jahre später, manches geschichtliche Detail nicht mehr sicher festzustellen ist. Manche Information lässt unterschiedliche Deutungen zu. Entscheidend ist immer der Standpunkt des Betrachters und der Betrachterin. Geschichte ist nie eindeutig, darum kann Geschichtsschreibung nie objektiv sein.

Wir brauchen eine Kultur des Gedenkens

Die Pflege der Erinnerung an bestimmte Gestalten und Ereignisse gehört seit alters zur menschlichen Kultur. In der jüdisch-christlichen Tradition ist das Erinnern und die generationenüberspannende Weitergabe geschichtlicher Erfahrungen für die individuelle wie kollektive Identitätsbildung zentral.

„Wir sind dass Volk der Dichter und Denker“ sagen wir. Aber das gilt nicht ein für alle Mal.

Die Frage nach der Identität der Deutschen und dem Rang der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen für ihr kulturelles Gedächtnis steht immer wieder auf der Tagesordnung.

Seit dem 19. Jahrhundert war das Gedenken immer mehr in den Dienst eines überzogenen Nationalstolzes gestellt worden durch Siegesfeiern an Jahrestagen und Denkmälern berühmter Feldherrn.

Als Reaktion auf solche Übersteigerungen hat sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Deutschland allmählich eine Neubesinnung durchgesetzt. Es werden nicht mehr "Helden" gefeiert, sondern auch  die in der Durchsetzung ihrer Ziele Gescheiterten, wie die Gestalten des deutschen Widerstands gegen Hitler. Erst später rückte auch das Gedenken an die Opfer des Faschismus und damit die Auseinandersetzung mit der Schuld der Täter in den Vordergrund.

Durch die Diskussion um das zentrale Holocaust-Mahnmal in Berlin wurde die Frage nach einem angemessenen Erinnern und Gedenken wieder neu und grundsätzlich aufgeworfen. Die Zahl der Zeitzeugen aus den Reihen der Opfer und der Täter wird immer kleiner, und die nachwachsenden Generationen in Deutschland haben keinen unmittelbaren Zugang mehr zur Zeit des Nationalsozialismus.

In dieser Situation wird erneut gefragt, ob es nicht an der Zeit sei, einen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen, um die aus ihr her rührenden Verwundungen ausheilen zu lassen. Ferner wird gefragt, ob die bisherigen Formen des Gedenkens nicht zur Routine erstarrt seien und so eher zur Neutralisierung und Verdrängung der Vergangenheit beitragen als zu ihrer Vergegenwärtigung. Alle Überlegungen führen jedoch immer wieder zu dem Ergebnis, dass ein Verzicht auf die Beschäftigung mit der Vergangenheit nicht möglich und sogar gefährlich wäre, dass aber über die Formen des Gedenkens angesichts des Generationenwechsels neu nachzudenken ist.

Ich will mit Ihnen an dieser Stelle nicht die Frage von generationenübergreifender Schuld bedenken. 

Ich kann für mich selbst aber sagen: Als junger Deutscher, der ich die Zeit des Nationalsozialismus nicht miterlebt habe, erbe ich nicht nur Gutenbergs Buchdruck und Bachs wundervolle Musik, die Errungenschaften bismarckscher Sozialgesetzgebung und den Wohlstand erhardtscher Marktwirtschaft, nein ich erbe auch die problematischen Seiten des ausbeuterischen Kolonialismus und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Das eine gibt es nicht ohne das andere.

So ist mir in den Leserbriefdiskussionen, die die Erstellung dieser Gedenkstätte begleitet haben, deutlich geworden: Es geht nicht an, das Gedenken an die gefallenen deutschen Soldaten, das Gedenken an die zivilen Opfer der beiden Weltkriege und das Gedenken an die Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft gegeneinander auszuspielen und voneinander zu trennen. Beides ist Teil einer deutschen Geschichte.  Es ist schade um jedes Stück gelebtes Leben, dass durch Freiheitsberaubung, Gewalt, Krieg und Tod abgeschnitten oder zerstört wurde.

Darum hat beides seine Berechtigung, unser Gedenken hier und das Gedenken am Volkstrauertag am Ehrenmal an der Dorfstraße. Wer meint, er könne eines ohne das andere haben, flieht vor dem Ganzen der Geschichte in eine verkürzte Scheinwelt.

Was uns alle in unserem Gedenken hier wie dort verbinden muss, ist der feste Entschluss "Nie wieder!"

Ein solches Gedenken darf nicht abstrakt sein, sondern muss konkret deutlich machen, dass es um bestimmte einzelne Menschen ging, nicht um die abstrakte Zahl. Darum haben wir uns bei den Informationen auf der Gedenktafel bemüht.

Von solchem Gedenken wird immer wieder neue Beunruhigung ausgehen. So wird Gedenken zur Mahnung, ebenso wie die Erinnerung an Taten der Menschlichkeit zur Ermutigung wird.

Gerade in einer zum Individualismus neigenden Zeit ist es wichtig, dass Gedenken nicht nur individuell, sondern auch gemeinschaftlich geschieht; so wird die Identität nicht nur der einzelnen, sondern der Gesellschaft insgesamt geprägt.

„Die Wahrheit wird euch frei machen“, sagt Jesus Christus. Ich hoffe, dass wir mit dieser Gedenkstätte der Wahrheit und damit der Freiheit aller Menschen dienen.